Tiergestützte Therapie im ATZ Paderborn
Alva (9 Jahre) und Céilí (4 Jahre) sind die tierischen Stars im Autismus-Therapie-Zentrum Paderborn. Die beiden Eurasier sind sogenannte Therapie-Begleithündinnen und unterstützen ihre Besitzerin Iris Geiger bei ihrer Arbeit mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum. Mit der 51-jährigen Diplom-Sozialpädagogin und Systemischen Kinder- und Jugendlichen-Therapeutin haben wir über ihre Rolle und die der Hündinnen bei diesem Einsatz gesprochen, über Therapieziele sowie über verschiedene Ebenen der Begegnung zwischen den autistischen Klienten und ihren tierischen Begleiterinnen.
Wie kamen Sie darauf, Ihre Hündinnen in die Therapie mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum einzubinden?
Iris Geiger:
„Als ich Alva das erste Mal mit ins Büro nahm, geschah das ohne den Gedanken, sie für die tiergestützte Therapie einzusetzen. Dieser Ansatz war damals noch nicht besonders verbreitet. Beim Erstkontakt fiel mir direkt auf, wie vorsichtig sich meine Hündin den so unterschiedlichen Klienten näherte. Sie sprang sie nicht an oder bestürmte sie, sondern achtete auf ihre Reaktion und passte ihr Verhalten dementsprechend an. Klienten, die sonst wenig Interesse an anderen Menschen und einem Gespräch zeigten, begannen plötzlich, ganz viele Fragen zu Alva zu stellen, während sie sie streichelten. Diese Schlüsselerlebnisse und generell das Wissen, wie gut der Kontakt zu einem Hund für den Menschen ist, waren Auslöser dafür, die Ausbildung zum Therapie-Begleithundeteam zu machen – erst mit Alva und später mit Céilí."
Was zeichnet die beiden Hündinnen aus?
Iris Geiger:
„Alva übernimmt am liebsten Aufgaben wie den Bewegungsparcours oder Suchspiele. Sie ist sehr gut für den Einzel- und Zweierkontakt geeignet, geht sanft und entspannt mit ihrem Gegenüber um. Die Gruppentherapie mag sie nicht, das Setting ist ihr zu laut und zu unruhig. Céilí hingegen liebt den Tumult und läuft zu jedem hin. Wenn es ihr zu viel wird und sie genug Streicheleinheiten bekommen hat, legt sie sich einfach mitten ins Geschehen und schläft. Die Klienten fragen mich immer, wie sie das bei dem Lärm bloß kann. Das zeigt, dass sie sich in die Lage der Hündin hineinversetzen und Empathie zeigen können – eine Eigenschaft, die bekanntlich vielen Menschen aus dem Autismus-Spektrum bei Begegnungen mit anderen schwerfällt, in der tiergestützten Therapie aber gut funktioniert und gefördert werden kann."
Was ist bei der Arbeit mit Alva und Céilí zu beachten?
Iris Geiger:
„Als Tierhalterin trage ich die Verantwortung für die tierschutzkonforme Unterbringung und Betreuung meiner Hündinnen. Sie werden regelmäßig dem Tierarzt vorgestellt und entwurmt. In meinem Büro haben sie einen festen Rückzugsort und es gibt Hygieneregeln. Die Hündinnen dürfen zum Beispiel nicht in die Küche oder die Sanitäranlagen, haben keinen Zugang zu unseren Nahrungsmitteln, nach dem Kontakt mit ihnen werden die Hände gewaschen. Bevor die Klienten auf die Hunde treffen, spreche ich mit ihnen über den richtigen Umgang mit den Tieren. Je nach Art des Einsatzes dauert dieser zwischen 15 bis 30 Minuten und findet ein bis zwei Mal am Tag statt. Streicheln und Spazierengehen ist länger möglich als Tricks und Suchspiele, bei denen Alva und Céilí mehr gefordert werden. Bevor ich die beiden in den Therapieprozess einbeziehe, frage ich auch, ob der Klient allergisch auf Tierhaare reagiert und seine Kultur den Einsatz zulässt."
Ist die tiergestützte Therapie für jeden Klienten geeignet?
Iris Geiger:
„Die therapeutische Arbeit in all unseren Autismus-Therapie-Zentren ist individuell auf die Bedürfnisse unserer Klienten ausgerichtet. Dabei nutzen wir offene Methoden, denn es gibt nicht nur die eine Therapie, die hilft. Auch ich arbeite systemisch und gucke, was bei meinen Klienten gerade im Vordergrund steht. Beim Durchführen der tiergestützten Therapie achte ich darauf, dass es Klient und Hund gut geht. In der Regel arbeite ich mit Klienten, die schon Zugang zu Hunden hatten. Bei der ersten Begegnung kann es sein, dass ein Klient sich unwohl fühlt. Dieser Zustand darf jedoch nicht zu lange anhalten, Tier und Klient sollten sich mögen. Ich hatte einen Klienten, der sehr aggressiv war und mich während einer Therapiesitzung mehrfach angriff. Das konnte ich Alva nicht zumuten, auch wenn der Klient meine Hündin sehr mochte. In so einem Fall, muss ich zum Schutz des Tieres Grenzen setzen, denn Alva soll mich ja nicht verteidigen müssen. Andere Klienten können sich in Anwesenheit der Tiere nicht entspannen. Voraussetzung für die gemeinsame Arbeit ist immer, dass Klient und Hund davon profitieren."
Wie funktioniert so ein therapeutischer Prozess?
Iris Geiger:
„Die Basis bildet das Beziehungsdreieck, die sogenannte Triade zwischen Klient, Hund und mir als Therapeutin. Dadurch entstehen unterschiedliche Beobachtungs- und Handlungsebenen. Es gibt die Möglichkeit, dass ich mit Alva oder Céilí arbeite und der Klient zuschaut. In der Regel wird jedoch der Klient selbst aktiv, plant einen Bewegungsparcours, entwickelt Suchspiele mit Leckerchen und ich kann eingreifen, wenn es nötig ist. Klappt die Aktion, ist das eine sehr gute Bestätigung für ihn, dass sein Handeln wirksam war. Befolgt die Hündin ein Kommando nicht, kann der Klient den Grund dafür herausfinden. Hatte der Hund keine Lust mehr oder wurde er durch ein Geräusch abgelenkt? Vielleicht war der Befehl nicht eindeutig? Menschen aus dem Autismus-Spektrum haben oft Schwierigkeiten, mit ihrer Mimik und Gestik auszudrücken, was sie möchten oder fühlen und erkennen das auch bei ihrem Gegenüber nicht. In der Interaktion mit dem Hund werden Fehler toleriert, das Tier gibt eine wertfreie Rückmeldung. Der Klient betrachtet zum Beispiel das Verweigern eines Kommandos nicht als sein persönliches Scheitern, sondern sucht nach einer Lösung, damit das Tier seine Ansage beim nächsten Versuch versteht."
Die tiergestützte Therapie läuft offensichtlich auf verschiedenen Ebenen ab?
Iris Geiger:
„Ja, genau, der tierische Einsatz erfolgt auf vier Ebenen, in jeder finden sich Förderelemente in der Arbeit mit Menschen aus dem Autismus-Spektrum. Es hängt vom Klienten ab, ob auf allen Ebenen gearbeitet wird und in welchem Tempo sie durchlaufen werden. Am Anfang lernen sich Klient und Hund vorsichtig kennen und bauen Vertrauen auf. Es finden ein Austausch und die Deutung über das Verhalten des Hundes statt. Der Übergang zur nächsten Ebene ist fließend. Streicheln, Körperkontakt, Bürsten und Füttern gehören dazu, hier werden taktile Reize angesprochen. Danach gibt es erste Interaktionen, der Klient erarbeitet weitere Übungen wie zum Beispiel einzelne Tricks und Signale. Komplexere Aktionen wie einen Bewegungsparcours oder Suchspiele mit Leckerchen werden auf der vierten und letzten Ebene des therapeutischen Prozesses ausgeführt. Der Klient lernt dabei, klare Anweisungen zu geben und Regeln einzuhalten. In den letzten beiden Ebenen müssen Körpersprache, Mimik und Aufmerksamkeit mit den Kommandos übereinstimmen, darüber hatten wir ja schon beim Thema Beziehungsarbeit zwischen Klient, Hund und Therapeut gesprochen. Ich habe auch eine Klientin, bei der ich Alva und Céili gleichzeitig in die Therapie einbinde. Die Aufgaben, die sie sich für die beiden ausdenkt, werden immer komplexer. Wir arbeiten mit Trick-Karten, das heißt, sie muss nicht nur die richtigen Kommandos erteilen, sondern sich auch noch entscheiden, welche Hündin die Übung ausführen soll."
Beschreiben Sie die Rolle Ihrer Hündinnen im therapeutischen Prozess...
Iris Geiger:
„In der Therapie sind Alva und Céilí wie Eisbrecher, Vermittler, Motivatoren, Sinngeber und vieles mehr. Einer meiner Klienten wäre gar nicht aus dem Auto ausgestiegen, wenn ich ihn nicht mit den Hündinnen in Empfang genommen hätte. Jetzt gehen wir immer als erstes zu Alva und Céilí, er kann im Therapie-Setting ankommen und sich entspannen. Andere Klienten verlassen nicht gerne das Haus, denn was draußen passiert, ist für sie nicht vorhersehbar. Mit den Hündinnen gehen sie Gassi, das ergibt für sie einen Sinn. Sie lernen, auf die Tiere einzugehen und ihr Verhalten auf sie abzustimmen, das ist nicht selbstverständlich für Menschen aus dem Autismus-Spektrum. Mit Unterstützung der Tiere sind Ziele wie das Fördern von Interaktion, Kommunikation, sozialer Kompetenzen, Mut, Selbstvertrauen und Führungsqualitäten einfacher zu bearbeiten. Die Klienten lassen sich leichter auf neue Aufgaben und Herausforderungen ein, sind flexibler und nicht so schnell frustriert, wenn mal eine Übung nicht klappt. Von den Hündinnen werden sie nicht kritisiert oder bewertet und erleben sich in einer positiven Rolle."
Was schätzen Sie besonders an der tiergestützten Therapie?
Iris Geiger:
„Die Arbeit mit Alva und Céilí bereichert den therapeutischen Prozess der Klienten und liefert mir wertvolle Erkenntnisse, die ich ohne die Tiere nicht gemacht oder für die ich länger gebraucht hätte. Eine meiner Klientinnen kommt beispielsweise nur mit großem Widerstand zu ihren Therapiesitzungen und kann ihre Bedürfnisse nicht äußern. Sie liebt die Hunde und in der Arbeit mit ihnen, kann die Klientin sehr wohl sagen, was sie möchte. Daran habe ich erkannt, dass der Fokus der Therapie nicht das Bearbeiten ihres Widerstandes ist, sondern wie ich sie dabei unterstützen kann, ihre Bedürfnisse mitzuteilen. Für einen Teil unserer Klienten ist die Arbeit mit den Hunden sehr gut geeignet und bringt sie in ihrer Entwicklung weiter. Für andere gibt es Methoden und Interventionen, die besser zu ihnen passen und mit denen wir ihre Förderziele genauso gut erreichen können."