Neuigkeiten und
Termine

Foto Klaus Wollny (links) und Dr. Monika Armada-Möller (rechts)

Mit ambulanter Unterstützung in den eigenen vier Wänden wohnen

Seit 2017 bietet der Regionalverband autismus Ostwestfalen-Lippe e.V. in der Stadt und im Landkreis Paderborn das Ambulant Betreute Wohnen (BeWo) für Menschen mit Autismus an und schließt damit eine Versorgungslücke in diesem Einzugsgebiet. Dr. Monika Armada-Möller (rechts im Bild), Fachliche Leitung BeWo Paderborn, und Klaus Wollny (links im Bild), Geschäftsführer des Regionalverbandes autismus Ostwestfalen-Lippe e.V., sprechen über die Zielsetzung, Vorteile und Finanzierung dieses Angebots. Darüber hinaus erläutern sie, wie wichtig eine individuelle, autismusspezifische Beratung und Begleitung für ihre Klientel ist und warum organisierte Gruppen- und Freizeitaktivitäten Wege aus der Isolation eröffnen.

Für wen ist das Ambulant Betreute Wohnen geeignet?

Klaus Wollny:

„Zielgruppe des Ambulant Betreuten Wohnens sind volljährige Menschen mit einer Störung aus dem autistischen Spektrum und zukünftig auch mit einer geistigen Behinderung bzw. psychischen Erkrankung im Sinne der Eingliederungshilfe gemäß der Paragraphen 53 und 54 des SGB XII. Das Angebot richtet sich an Menschen, die außerhalb von vollstationären Einrichtungen eigenständig wohnen können, aber ambulante Hilfen benötigen, damit sie ihr Leben möglichst selbstbestimmt führen und an allen gesellschaftlichen Bereichen teilnehmen können."

Dr. Monika Armada-Möller:

„Wir bieten diese Dienstleistung in der Region Paderborn seit 2017 an, um Menschen mit Hilfebedarf in ihrer individuellen Wohnsituation zu unterstützen. Dabei handelt es sich um Personen, die alleine, in Wohngemeinschaften oder mit einer Partnerin oder einem Partner in einer eigenen Wohnung zusammenleben. Für das Ambulant Betreute Wohnen müssen sie gewisse Voraussetzungen und Grundfähigkeiten mitbringen sowie eine gesicherte Autismus-Diagnose haben. Das Angebot ist freiwillig, das heißt, die ambulante Betreuung wird erst auf Wunsch der betroffenen Person hin erbracht und findet meistens in ihrer Wohnung statt."

Worauf liegt der Fokus Ihrer Arbeit?

Klaus Wollny:

„Ziel des Ambulant Betreuten Wohnens ist es, unsere Klientinnen und Klienten so zu mobilisieren, dass sie sich in ihren alltäglichen Lebens- und Wohnsituationen weitgehend selbstständig zurechtfinden. Das Angebot umfasst sämtliche Lebensbereiche und -phasen. Es geht darum für Menschen mit einer Beeinträchtigung eine Brücke zum Leben in der Gemeinschaft zu bauen. Das möchten wir gemeinsam mit ihnen, ihren Angehörigen und weiteren Bezugspersonen erreichen, die dadurch ja auch entlastet werden."

Dr. Monika Armada-Möller:

„Die Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen und der Eigenständigkeit stehen bei diesem Angebot im Vordergrund. Jede Klientin bzw. jeder Klient hat bei uns eine feste Bezugsperson. Mit ihr finden nach Absprache Treffen statt. Unser Team ist tagsüber telefonisch erreichbar, für Notfälle gibt es jederzeit Unterstützung durch die Rufbereitschaft. Der Umfang der täglichen und wöchentlichen Assistenz, Beratung und Begleitung wird am individuellen Unterstützungsbedarf errechnet und von den jeweiligen Kostenträgern festgelegt. Wie die Unterstützung im Einzelnen aussieht, richtet sich nach den jeweiligen Bedürfnissen und der Problemlage der zu betreuenden Person."

Klaus Wollny:

„Die Begleitung von Menschen mit Autismus erfordert auch hohe fachliche Kompetenzen und persönliche Lebenserfahrung. Daher erhalten unsere Mitarbeitenden zum Beispiel eine intensive Einarbeitung in die Thematik des Asperger-Syndroms, ehe sie ihr erstes Arbeitsbündnis, so nennen wir es, mit einer Klientin oder einem Klienten mit dieser Diagnose eingehen. Darüber hinaus nehmen die Mitarbeiter/-innen an internen und externen Fortbildungen und an Supervisionen teil."

Wobei kann das Team vom Ambulant Betreuten Wohnen Menschen mit Autismus unterstützen?

Dr. Monika Armada-Möller:

„Für die einzelfallbezogene Begleitung von Menschen mit Autismus ist es besonders wichtig, eine Verschlimmerung ihrer Beeinträchtigung zu verhindern. Unser Team unterstützt zum Beispiel bei der Suche nach einer eigenen Wohnung, bei der Gesundheitspflege oder beim Gestalten einer angemessenen Tagesstruktur oder der Teilnahme an Freizeitaktivitäten und leistet Beistand in Konflikt- und Krisensituationen. Oftmals fällt es unseren Klientinnen bzw. Klienten schwer, Alltagshandlungen sinnvoll zu planen oder Transferleistungen in Bezug auf neue Situationen zu erbringen: Wenn ich weiß, wie ich das Wohnzimmer putze, bedeutet das noch lange nicht, dass ich auch das Bad putzen kann. Schon die Überlegungen im Vorfeld, was ich zum Putzen brauche oder wo ich es einkaufe, können für Menschen mit Autismus eine so hohe Hürde sein, dass es nie zum Putzen kommt. Hier hilft die Bezugsperson bei der Planung und dabei, Prioritäten zu setzen, Entscheidungen zu treffen und mit möglichen Hindernissen umzugehen."

Klaus Wollny:

„Bei Klientinnen und Klienten, die zusätzlich eine Therapie wahrnehmen, tauscht sich die zuständige Fachkraft des Ambulant Betreuten Wohnens auch regelmäßig mit der behandelnden Therapeutin bzw. mit dem Therapeuten aus. Das geschieht bei uns oftmals alles unter einem Dach und wie aus einer Hand. Neben dem Ambulant Betreuten Wohnen – Träger der Dienstleistung ist seit 2009 unser Familienunterstützender Regionaler Integrationsassistenzdienst für Menschen mit Autismus (FRIDA gGmbH) – gehört am Standort Paderborn auch ein eigenes Autismus-Therapie-Zentrum zum Angebot unseres Regionalverbandes autismus Ostwestfalen-Lippe."

Bieten Sie Ihre Dienstleistungen noch woanders an?

Dr. Monika Armada-Möller:

„Ja, in Bielefeld, Gütersloh und Lemgo gibt es weitere Autismus-Therapie-Zentren. Und auch an diesen Standorten können Menschen mit Autismus das Ambulant Betreute Wohnen und in ganz Ostwestfalen-Lippe sowie in den Kreisen Warendorf, Soest und der Stadt Hamm unseren Integrationsassistenzdienst „FRIDA“ nutzen. Mit unseren vielfältigen Dienstleistungen möchten wir verhindern, dass künftig immer wieder Notlösungen für diesen Personenkreis gefunden werden müssen. Denn das belastet Menschen mit Autismus und ihre Angehörigen unnötig und verursacht für alle Beteiligten und auch für die Kostenträger wesentlich höhere Ausgaben. Unser Team besteht derzeit insgesamt aus elf multiprofessionell ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. An allen Standorten zusammen begleiten sie aktuell 32 Klientinnen und Klienten, die die vielfältigen Unterstützungsleistungen unseres Ambulant Betreuten Wohnens nutzen."

Woher wissen Sie, dass die Hilfestellung ankommt?

Klaus Wollny:

„Der Erfolg unserer Arbeit zeigt sich, wenn die von uns betreuten Menschen losgelöst vom Elternhaus, von Angehörigen, Partnerinnen oder Partnern ihr eigenes Leben führen. Was gibt es Schöneres, als wenn sie unsere Unterstützung irgendwann gar nicht mehr oder nur noch in geringem Umfang benötigen? Uns aber jederzeit mit dem guten und sicheren Gefühl kontaktieren können, dass wir in Krisensituationen für sie da sind?"

Wie wird das Ambulant Betreute Wohnen finanziert?

Klaus Wollny:

„Die Finanzierungsgrundlage bilden die bereits einführend genannten Paragrafen 53 und 54 des SGB XII: Die erbrachten Leistungen können nach einem erfolgten Hilfeplanverfahren mit dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe, das ist der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, abgerechnet werden, bei Klientinnen bzw. Klienten unter 27 Jahren mit dem Jugendamt. Wenn sie Mieter/-in einer eigenen Wohnung sind, fallen weitere Kosten an. Dazu gehören zum Beispiel Miete, Strom, Heizung, Lebensmittel und Ausgaben für sonstige Dinge des täglichen Bedarfs. Gibt es hierfür nicht genügend Geld, übernehmen das Grundsicherungsamt oder das Jobcenter die Kosten. Dazu muss ein Antrag gestellt werden, wir helfen gerne dabei."

Wie läuft das Antragsverfahren ab?

Dr. Monika Armada-Möller:

„In einem ersten, unverbindlichen Gespräch informieren wir detailliert über das Ambulant Betreute Wohnen, die Zielsetzung und individuellen Möglichkeiten dieser Hilfeform. Wir gleichen die Wünsche und Vorstellungen unserer Klientinnen und Klienten sowie die erforderlichen Hilfen mit unserem Angebot ab und erarbeiten gemeinsam mit ihnen einen Hilfeplan. Eine wesentliche Voraussetzung für die Teilnahme ist die eigene Motivation sowie die Einwilligung in die vertraglich geregelte Betreuung."

Klaus Wollny:

„Zudem sollten die Klientinnen bzw. Klienten Absprachen treffen können und diese auch weitestgehend einhalten. Dazu ist ein Mindestmaß an lebenspraktischen Fähigkeiten und sozialen Kompetenzen erforderlich. Sind die Zugangsvoraussetzungen erfüllt, kann der Antrag beim zuständigen Kostenträger, also beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) oder beim örtlichen Jugendamt, gestellt werden. Die Klientinnen bzw. Klienten erhalten dann eine Einladung zu einem Hilfeplangespräch. Zu diesem Termin können sie Menschen mitnehmen, denen sie vertrauen. Auch das Team vom Ambulant Betreuten Wohnen kann dazu eingeladen werden."

Das Ambulant Betreute Wohnen für Menschen mit Autismus ist in der Stadt und im Landkreis Paderborn einmalig. Wie kam es dazu?

Klaus Wollny:

„Rückmeldungen vom Gesundheitsamt, von verschiedenen Kostenträgern, unseren Klientinnen und Klienten sowie deren Angehörigen verwiesen auf eine deutliche Versorgungslücke in diesem Einzugsgebiet. Insbesondere fehlen ausreichend selbstbestimmte und elternunabhängige Wohnangebote für den von uns vertretenen Personenkreis der Menschen mit Asperger-Syndrom, High-Functioning-Autismus und atypischem Autismus. Da die Stadt Paderborn die Arbeit unseres örtlichen Autismus-Therapie-Zentrums und unseres Integrationsassistenzdienstes seit vielen Jahren kennt und schätzt, haben wir uns sehr über die Anfrage und das Vertrauen gefreut, unser Ambulant Betreutes Wohnen auch hier anzubieten."

Ein Blick in die Zukunft…

Klaus Wollny:

„Mit verschiedenen Kostenträgern, Therapieeinrichtungen, Beratungsstellen und Betreuungsvereinen bauen wir gerade ein engmaschiges Netzwerk auf, damit wir für jeden Menschen mit Autismus hier in der Region ein auf seine Bedürfnisse abgestimmtes Unterstützungsangebot entwickeln und fest verankern können. Außerdem nehmen wir bereits an fachspezifischen Arbeitskreisen teil und planen Fortbildungen und Informationsveranstaltungen zu relevanten Themen rund um das Ambulant Betreute Wohnen. Für all diese Aktivitäten wünsche ich mir Kontinuität sowie eine gute und konstruktive Zusammenarbeit mit unseren Netzwerkpartnern."

Dr. Monika Armada-Möller:

„Mir liegt sehr am Herzen, dass wir unsere Klientinnen und Klienten in ihrem selbstbestimmten Leben und Wohnen sowie bei ihrer beruflichen Integration in den ersten Arbeitsmarkt passgenau unterstützen können. Sie sollen in die Lage versetzt werden, ihren Alltag und ihr Arbeitsleben so eigenständig wie möglich zu gestalten. Dazu gehört auch der weitere Ausbau von Gruppenangeboten wie das monatliche BeWo-Treffen, das ein wichtiger Bestandteil zur Förderung sozialer Kompetenzen ist und beispielsweise von den Klientinnen und Klienten am Standort Bielefeld sehr gut angenommen wird. Organisierte Gruppen- und Freizeitangebote ermöglichen Menschen mit Autismus die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft und eröffnen ihnen Wege aus der Isolation. Aufgrund des erhöhten Bedarfs an Unterstützung und ambulanter Versorgung möchten wir unsere Dienstleistung künftig auch Menschen mit ausschließlich psychischen oder geistigen Beeinträchtigungen anbieten."